‚Unterlassungserklärungen‘ sollen 30 Jahre lang ‚gültig sein‘? Stimmt das?
Den Adressaten einer Abmahnung, beispielsweise wegen Urheberrechtsverletzung, wird auf zahlreichen Anwaltsseiten, u.a. auch hier im Blog, angeraten, die den Abmahnungsschreiben beiliegende vorgefertigte Unterlassungserklärung nicht übereilt zu unterschreiben. Dieser Rat ist sicherlich so richtig. Häufig wird in diesem Zusammenhang ‚altruistisch‘ darauf hingewiesen, dass eine ‚Unterlassungserklärung‘ 30 Jahre lang ‚gültig‘ wäre. Der Unterzeichner setze sich – je nach Gestaltung der Erklärung – für einen Zeitraum von 30 Jahren dem unüberschauben Risiko aus, massenhaft Vertragsstrafen zu verwirken. Den Abgemahnten wird daher der Eindruck vermittelt, im Falle der Abgabe einer Unterlassungserklärung 30 Jahre lang an diese gebunden zu sein. Es wird argumentiert, der Unterzeichner der Unterlassungserklärung müsse während eines Zeitraums von 30 Jahren aufpassen, nicht durch Vertragsstrafen finanziell ruiniert zu werden.
Doch stimmt die Aussage, Unterlassungserklärungen seien 30 Jahre lang gültig, so überhaupt? Ich lasse mich ja gern eines besseren belehren, aber nach meiner Überzeugung stimmt diese Aussage nicht. Es scheint vielmehr, dass hier unter Rechtsanwälten die ‚Mär von der 30ig jährigen Gültigkeit der Unterlassungserklärung‘ munter voneinander abgeschrieben und weitergetragen wird. Zugegebenermaßen handelt es sich dabei ja auch um eine griffige und einprägsame Warnung, durch die sich sicherlich der ein oder andere Filesharing-Abgemahnte zur Inanspruchnahme anwaltlicher Beratung hinreißen lässt.
Rechtliches zur strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung
Die Entstehung eines Unterlassungsanspruches setzt regelmäßig eine sogenannte Wiederholungsgefahr (oder eine Erstbegehungsgefahr) voraus. Wird beispielsweise eine Urheberrechtsverletzung begangen, wird nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich vermutet, dass der Verletzer eine gleichgelagerte Urheberrechtsverletzung jederzeit erneut begehen werde. Der Jurist sagt, eine vorausgegangene Rechtsverletzung (z.B. Urheberrechtsverletzung) indiziert die Wiederholungsgefahr. Solange die Wiederholungsgefahr besteht, erlischt der Unterlassungsanspruch nicht und kann gerichtlich durchgesetzt werden. Entfällt die Wiederholungsgefahr jedoch, erlischt auch der Unterlassungsanspruch. Nach der Rechtsprechung des BGH kann die Wiederholungsgefahr regelmäßig nur durch Abgabe einer strafbwehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung beseitigt werden. Die Abgabe einer ausreichend strafbewehrten Unterlassungserklärung bringt daher den Unterlassungsanspruch zum Erlöschen. Der Unterlassungsanspruch kann dann nicht mehr in einem (teuren) gerichtlichen Verfahren durchgesetzt werden.
Die Verpflichtung zur Zahlung einer Vertragsstrafe
Die Unterlassungserklärung muss zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr eine Formulierung enthalten, wonach sich der Unterzeichner im Wiederholungsfalle zur Zahlung einer Vertragsstrafe verpflichtet. Bei der Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung handelt es sich insoweit um das Angebot einen Vertrag zu schließen, durch welchen der Abgemahnte sich zur Zahlung einer Vertragsstrafe im Wiederholungsfalle verpflichtet. Wie das bei Verträgen so üblich ist, muss daher zur Entstehung des Vertragsstrafeversprechens dieses Angebot durch den Abmahner auch angenommen werden. Nur durch die Annahme des Vertragsstrafeversprechens kommt ein entsprechender Vertrag zustande, welcher Rechtsgrund für den Anspruch des Abmahners auf Zahlung der Vertragsstrafe im Wiederholungsfall ist. Wird daher eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung durch den Abmahner nicht angenommen, stehen die Chancen nicht schlecht, dass im wiederholten Verletzungsfalle eine Vertragsstrafe nicht anfällt. Allerdings hat der BGH jüngst entschieden, dass in einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung regelmäßig ein unbefristetes, auf Abschluss eines entsprechenden Unterlassungs-und Verpflichtungsvertrages gerichtetes Angebot zu sehen ist. Die Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung kann daher unter Umständen noch Jahre später angenommen werden und hernach im Wiederholungsfalle eine enstprechende Zahlungspflicht begründen. Der konkrete Anspruch auf Zahlung einer Vetragsstrafe entsteht aber erst dann, wenn der sich Unterworfene eine vom Unterlassungsverprechen umfasste (wiederholte) Handlung begeht. Eine solche wiederholte Verletzung löst einen Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe aus. Der andere Part des Unterlassungsvertrages (Abmahner) kann somit im Wiederholungsfall eine Vertragsstrafe geltend machen. Je nach konkreter Gestaltung des Unterlassungsvertrages kann eine Vertragsstrafe auch mehrmals, z.B. für jedes in einer Tauschbörse zum Download bereitgestellte Lied, anfallen.
Unterlassungs- und Verpflichtungsvertrag vergleichbar mit tituliertem Unterlassungsanspruch
Die Verpflichtung zur Zahlung einer Vertragsstrafe im Wiederholungsfall folgt aus einem Vertrag, den der Abgemahnte mit dem Abgemahnten schließt. Dieser Vertrag wird regelmäßig geschlossen, um eine gerichtliche Durchsetzung (Titulierung) des aufgrund einer im Vorfeld begangenen Rechtsverletzung (z.B. Urheberrechtsverletzung) entstandenen Unterlassungsanspruchs des Verletzten zu vermeiden. Auf Grundlage eines titulierten Unterlassungsanspruches kann der Verletzte im Wiederholungsfall Antrag auf Ordnungsmittel stellen. Der Verletzte bekommt dann von staatlicher Seite ein Ordnungsmittel, regelmäßig ein Ordnungsgeld, aufgebrummt. Der Unterlassungsvertrag mit seinem Vertragsstrafeversprechen tritt an die Stelle des titulierten Unterlassungsanpruchs. Dann gibt es im Wiederholungsfall eben kein Ordnungsgeld, sondern es muss eine Vertragsstrafe bezahlt werden.
BGH: Titulierter Unterlassungsanspruch verjährt nicht nach 30 Jahren
Grundsätzlich verjähren rechtskräftig festgestellte Ansprüche gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB in 30 Jahren. Klagt A von B eine Kaufpreisforderung erfolgreich ein, bekommt er mit dem Urteil einen vollstreckbaren Titel und hat dann 30 Jahre Zeit, die Forderung auf Grundlage dieses Titels beizutreiben. Nach Ablauf von 30 Jahren nützt A der Titel nichts mehr, da Verjährung eingetreten ist. Anders verhält es sich jedoch bei einem titulierten Unterlassungsanspruch. Der titulierte Unterlassungsanspruch unterliegt keiner Verjährung (vgl. BGHZ 59, 72 = GRUR 1972, 721 – Kaffeewerbung). Der BGH begrüdet dies damit, dass nur ein nicht befriedigter Anspruch, der dem Gläubiger eine Zugriffsmöglichkeit verschaffe, verjähren könne. Unbefristete Ansprüche auf ein Dauerverhalten, etwa ein Unterlassen, befänden sich in einem Zustand des Befriedigtseins, solange sich der Verpflichtete dem Anspruch gemäß verhalte. Es fehle dann ein Anlass zu Vollstreckungsmaßnahmen und damit die Grundlage für den Beginn einer Verjährung. Diese Auffassung darf im Übrigen als herrschende Meinung bezeichnet werden (zum Vorstehenden: Köhler: Zur Verjährung des vertraglichen Unterlassungs- und Schadensersatzanspruchs, in GRUR 1996, 231). Was für den titulierten Unterlassungsanspruch gilt, muss auch für den Unterlassungs- und Verpflichtungsvertrag gelten. Die Ausgangs- und Interessenlage ist vergleichbar. Auch der vertragliche Unterlassungs- und Verpflichtungsanspruch besteht im Grunde ewig fort, solange der Vertrag wirksam ist. Dies stellt auch der BGH insoweit fest, als er die Unterlassungsvereinbarung (in BGH, GRUR 1995, 678, 680 – Kurze Verjährungsfrist) als mit den Wirkungen des durch sie verhinderten Titels als vergleichbar ansieht (Köhler: Zur Verjährung des vertraglichen Unterlassungs- und Schadensersatzanspruchs, in GRUR 1996, 231).
Fazit: Unterlassungs- und Verpflichtungsvertrag bindet Unterzeichner lebenslänglich
Die Gültigkeit eines strafbewehrten Untelassungs- und Verpflichtungsvertrages beträgt daher nicht 30 Jahre. Vielmehr besteht ein solcher Vertrag fort, bis er beendet wird. Beendigungsgründe können sein die Aufhebung des Vertrags, der Eintritt einer auflösenden Bedingung, Kündigung, Anfechtung, Wegfall der Geschäftsgrundlage oder Beendigung infolge von Leistungsstörungen (Bergmann, in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 2. Auflage 2009, § 8 Rn. 41). Die Mär von der 30 jährigen Gültigkeit von Unterlassungs- und Verpflichtungsverträgen mag ihren Ursprung in den vor der Schuldrechtsreform (im Jahr 2002!) geltenden Verjährungsregeln haben. Damals betrug die regelmäßige Verjährungsfrist 30 Jahre. Der BGH hatte im oben zitierten Urteil (BGH, GRUR 1995, 678, 680 – Kurze Verjährungsfrist) zur damaligen Gesetzeslage festgestellt, dass der in einem Unterlassungs- und Verpflichtungsvertrag gründende Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe der reglmäßigen Verjährungsfrist (damals 30 Jahre) unterliege. Nach heutiger Gesetzeslage beträgt die Verjährungsfrist für Ansprüche auf Zahlung einer Vertragsstrafe aber regelmäßig drei Jahre ab Kenntnis bzw. fahrlässiger Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen, maximal jedoch 10 Jahre (vgl. § 195 BGB).
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