OBERLANDESGERICHT KÖLN
Beschluss
Aktenzeichen: 6 W 82/10
Verkündet am: 05.10.2010
Es wird festgestellt, dass der Beschluss der 30. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 230 O 49/10 – vom 23.04.2010 die Beschwerdeführerin in ihren Rechten verletzt hat, soweit darin der Beteiligten gestattet worden ist, der Antrag-stellerin unter Verwendung von Verkehrsdaten Auskunft über den Namen und die Anschrift desjenigen Inhabers eines Internetanschlusses zu erteilen, dem am 11.03.2010 um 10:51:00 Uhr MEZ die IP-Adresse … zugewiesen war.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens ist Inhaberin ausschließlicher von den ausübenden Künstlern und Tonträgerherstellern abgeleiteter Nutzungsrechte an einem im August 2008 erschienenen Popmusik-Album. Mit Hilfe automatischer, von einem Beauftragten entwickelter und kontrollierter Ermittlungen stellte sie fest, dass dieses Album in Form digitaler Musikdateien innerhalb eines P2P-Netzwerks (einer sogenannten Internet-Tauschbörse) unter anderem am 11.03.2010 um 10:51:00 Uhr MEZ öffentlich zugänglich gemacht wurde. Auf ihren Antrag hat das Landgericht Köln der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 9 UrhG gestattet, unter Verwendung der Verkehrsdaten Auskunft über den Namen und die Anschrift des Nutzers zu erteilen, dem die für den betreffenden Vorgang ermittelte IP-Adresse zugewiesen war. Die Beteiligte erteilte die Auskunft und benannte die Beschwerdeführerin als Anschlussinhaberin; von der Antragstellerin wurde diese unter Beifügung einer Kopie des landgerichtlichen Gestattungsbeschlusses zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung und zur Kostenübernahme oder zur Zahlung eines abschließenden Vergleichsbetrages von 1.200,00 € aufgefordert. Mit ihrer persönlich eingelegten Beschwerde beanstandet die Anschlussinhaberin nunmehr, dass die Beteiligte Informationen über ihren Internetanschluss weitergegeben und das Landgericht dies gestattet habe, ohne sie davon in Kenntnis zu setzen. In der Sache verweist sie darauf, dass das Musikalbum nur von ihrer 11jährigen Enkeltochter, die gerade einen Computerkurs beendet habe, aus dem Internet heruntergeladen worden sein könne. Sie sehe nicht ein, für so eine Kindermusik und den Übereifer ihrer Enkelin einen Betrag in der geforderten Höhe bezahlen zu sollen.
Die Beschwerde, mit der erkennbar die Feststellung der Rechtswidrigkeit der die Beschwerdeführerin betreffenden Anordnung im angefochtenen Beschluss erstrebt wird, ist zulässig. Soweit der Senat in anderer Besetzung vor Inkrafttreten des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) zum 01.01.2009 und vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 02.03.2010 (NJW 2010, 833 – Vorratsdatenspeicherung [Rn. 251, 254 ff.]) eine eigene Beschwerdeberechtigung des am Ausgangsverfahren nicht beteiligten Anschlussinhabers verneint hat (Senatsbeschluss vom 05.05.2009 – 6 W 39/09 = GRUR-RR 2009, 321 – John Bello Story 2; vgl. – die Frage für den geltenden Rechtszustand offen lassend – die Senatsbeschlüsse vom 18.05.2010 – 6 W 51/10; vom 21.07.2010 – 6 W 63/10; 69/10; 79/10; 18.8.2010 – 6 W 112/10), wird daran nicht festgehalten.
1. Der Anschlussinhaber – hier die Beschwerdeführerin – ist durch die richterliche Gestattungsanordnung beschwert.
a) Eine formelle Beschwer, die bei Zurückweisung des Antrags auf richterliche Anordnung nur in der Person des Antragstellers besteht (§ 101 Abs. 9 S. 4 und 6 UrhG i.V.m. § 59 Abs. 2 FamFG), kann der Anschlussinhaber allerdings nicht geltend machen. Weil er dem Antragsteller wie dem Gericht vor Erteilung der Auskunft durch die Beteiligte, über deren Zulässigkeit in dem Anordnungsverfahren erst entschieden wird, naturgemäß noch unbekannt ist, kann er weder vor der richterlichen Anordnung angehört noch von Amts wegen davon benachrichtigt oder über mögliche Rechtsbehelfe belehrt werden; da schon eine entsprechende verfahrensrechtliche Verpflichtung des Gerichts nicht besteht, kommt es nicht darauf an, ob ihre Verletzung allein ein Beschwerderecht begründen könnte.
b) Eine materielle Beschwer, also eine mit der angefochtenen Entscheidung bewirkte Beeinträchtigung des Beschwerdeführers in seinen Rechten, die für das Beschwerderecht in dem FamFG unterfallenden Verfahren regelmäßig – auch in Antragsverfahren bei stattgebender Entscheidung – genügt (§ 59 Abs. 1 FamFG, vgl. Keidel / Meyer-Holz, FamFG, 16. Aufl., § 59 Rn. 44), kann dagegen im Ergebnis nicht verneint werden. Im Licht des grundrechtlich verbürgten Telekommunikationsgeheimnisses (Art. 10 GG), das gegenüber dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) die speziellere Garantie darstellt (BVerfG, NJW 2010, 833 [Rn. 191]) und in § 101 Abs. 10 UrhG als durch § 101 Abs. 2 und 9 UrhG eingeschränktes Grundrecht genannt wird, dient der dort vorgesehene Richtervorbehalt vor allem dem Schutz der rechtlichen Interessen der noch unbekannten Anschlussinhaber. Obgleich verfassungsrechtlich für die Auskunft über Bestandsdaten – wozu die Identität des hinter einer IP-Adresse stehenden Anschlussinhabers gehört – kein Richtervorbehalt gefordert wird, zumal wenn ein prozessordnungsgemäßes Ersuchen der Staatsanwaltschaft vorliegt (BVerfG, a.a.O. [Rn. 261]; BGH, GRUR 2010, 633 = WRP 2010, 912 [Rn. 29] – Sommer unseres Lebens; Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 16/5048 S. 56), hat der Gesetzgeber für das Verhältnis zwischen privatem Rechtsinhaber und Provider am Erfordernis einer richterlichen Anordnung festgehalten, weil der Provider für die Zuordnung der IP-Adresse besonders schutzwürdige, im Vergleich zu Telefonverbindungen wesentlich sensiblere Verkehrsdaten heranziehen muss (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BVerfG, a.a.O. [Rn. 259]). Auch wenn sich der Entscheidungssatz des Gerichtsbeschlusses nur an den Provider richtet, betrifft er insofern doch auch unmittelbar die an Hand der angegebenen Daten identifizierbaren Anschlussinhaber – dies umso mehr, als der Provider durch die richterliche Anordnung von eigenen Prüfungen entlastet und damit praktisch zur Auskunft veranlasst wird (vgl. BT-Drucks. 16/5048 S. 63; BT-Plenarprot. 16/16318 B/C).
2. Da sich die Auskunft des Providers über die Person des hinter einer bestimmten IP-Adresse stehenden Anschlussinhabers an Hand von Verkehrsdaten nach ihrer Erteilung nicht mehr rückgängig machen lässt, so dass sich damit die richterliche Gestattungsanordnung in der Hauptsache erledigt, ist für die Statthaftigkeit der Beschwerde eines betroffenen Anschlussinhabers allerdings zusätzlich ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse erforderlich. Näher geregelt ist diese Konstellation nunmehr in § 62 FamFG i.V.m. § 101 Abs. 9 S. 4 UrhG, wonach das Beschwerdegericht auf Antrag ausspricht, dass die in der Hauptsache erledigte erstinstanzliche Entscheidung den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn dieser ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.
a) Insbesondere wenn der Betroffene – wie die Beschwerdeführerin im vorliegenden Verfahren – nicht anwaltlich vertreten ist, dürfen die Anforderungen an die Formulierung eines solchen Antrags nicht überspannt werden; es genügt, dass sich aus dem gesamten Vorbringen des Betroffenen konkludent das Begehren ergibt, die Rechtmäßigkeit der getroffenen Anordnung überprüfen zu lassen (Keidel / Budde, a.a.O., § 62 Rn. 10; Bork / Jacoby / Schwab / Müther, FamFG, § 62 Rn. 6; Schulte-Bunert / Weinreich / Unger, FamFG, 2. Aufl., § 62 Rn. 16 f. m.w.N.). So liegt es hier: Die Beschwerdeführerin beanstandet den in das Telekommunikationsgeheimnis eingreifenden, ohne ihre Beteiligung ergangenen Gestattungsbeschluss ersichtlich als unrechtmäßig und erstrebt dazu eine – nur noch als nachträgliche Feststellung mögliche – Entscheidung des Beschwerdegerichts.
b) Nach zutreffender Ansicht setzt der Antrag auf Fortsetzung eines abgeschlossenen Verfahrens in der Beschwerdeinstanz zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der in der Hauptsache erledigten erstinstanzlichen Entscheidung nicht voraus, dass die Beschwerde – was bei Einwänden der Anschlussinhaber gegen eine richterliche Anordnung nach § 101 Abs. 9 UrhG praktisch nie der Fall ist – schon vor dem erledigenden Ereignis eingelegt war. Gemäß der vom Gesetzgeber (BT-Drucks. 16/6308 S. 205) aufgegriffenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 104, 220 [231 ff.] = NJW 2002, 2456; NStZ 2009, 166 [167] m.w.N.) muss der Begriff der Erledigung vielmehr weit ausgelegt und das Feststellungsbegehren im Interesse effektiven Rechtsschutzes auch dann als zulässig angesehen werden, wenn sich die angegriffene Maßnahme – wie hier – bei Einlegung der Beschwerde bereits erledigt hatte (Keidel / Budde, a.a.O., Rn. 7-9; Prütting / Helms / Abramenko, FamFG, § 62 Rn. 5; Schulte-Bunert / Weinreich / Unger, a.a.O., Rn. 3).
c) Ein berechtigtes Interesse der Beschwerdeführerin an der begehrten Feststellung besteht im Streitfall in der Form des Regelbeispiels eines schwerwiegenden Grundrechtseingriffs (§ 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG).
Die richterliche Anordnung betrifft – wie oben zu Nr. 1 lit. b dargestellt – das von Verfassungs wegen unverletzliche und nur auf Grund eines Gesetzes beschränkbare Telekommunikationsgeheimnis (Art. 10 Abs. 1 und 2 GG). Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 02.03.2010 bedarf die Aufhebung der Anonymität im Internet gerade wegen des erheblichen Gewichts des darin liegenden Eingriffs ihrerseits einer Rechtsgutbeeinträchtigung, der von der Rechtsordnung auch sonst ein hervorgehobenes Gewicht beigemessen wird (BVerfG, NJW 2010, 833 [Rn. 262]). Der Betroffene, der in der Regel davon ausgehen kann, das Internet anonym zu nutzen, hat nicht nur grundsätzlich ein Recht zu erfahren, dass und warum diese Anonymität aufgehoben wurde (BVerfG, a.a.O. [Rn. 263]), sondern ihm ist auch, wenn er vor Durchführung der Maßnahme keine Gelegenheit hatte, sich vor den Gerichten gegen die Verwendung seiner Telekommunikationsdaten zur Wehr zu setzen, eine gerichtliche Kontrolle nachträglich zu ermöglichen (vgl. BVerfG, a.a.O. [Rn. 251]), und zwar wenigstens in denjenigen Konstellationen, für die der Gesetzgeber – wie in § 101 Abs. 9 UrhG – eine vorbeugende richterliche Kontrolle der Maßnahme bewusst vorgesehen hat, in denen dem davon Betroffenen innerhalb der Zeitspanne bis zur Erledigung der Maßnahme aber typischerweise kein rechtliches Gehör gewährt werden kann.
Obwohl der Erlass der richterlichen Anordnung noch keine Entscheidung über das Vorliegen einer gerade vom Anschlussinhaber zu verantwortenden Rechtsverletzung erfordert und insoweit keine schwerwiegende stigmatisierende oder diskriminierende Wirkung von ihr ausgehen mag, ist im Ergebnis ein Rehabilitationsinteresse (vgl. BVerfG, Beschl. v. 02.07.2010 – 1 BvR 2579/08 [Rn. 32] m.w.N., zitiert nach juris) des betroffenen Anschlussinhabers zu bejahen, der sich gegen die gerichtliche Feststellung einer offensichtlichen Verletzung geschützter Rechte des Gläubigers in gewerblichem Ausmaß unter Benutzung der seinem Internetanschluss zugeordneten IP-Adresse wendet. Denn er wird durch die erledigte richterliche Anordnung weiterhin erheblich beeinträchtigt, insofern sich der Gläubiger nach erteilter Auskunft zunächst an ihn wendet und ihn gegebenenfalls zwingt, sich gegen den Vorwurf der Urheberrechtsverletzung verteidigen zu müssen. Ohne eigenes nachträgliches Beschwerderecht im Anordnungsverfahren wäre der betroffene Anschlussinhaber gegenüber dem Auskunftsgläubiger zwar nicht rechtlos gestellt. In Bezug auf die im Verfahren nach § 101 Abs. 2 und 9 UrhG zu prüfenden Anspruchsvoraussetzungen (namentlich Rechtsinhaberschaft des Gläubigers, Offensichtlichkeit und gewerbliches Ausmaß der Rechtsverletzung) wäre seine Verteidigung aber wesentlich erschwert, wenn er aus seiner Sicht fehlerhafte Feststellungen des anordnenden Gerichts erst im Rahmen eines späteren Klageverfahrens zur Überprüfung stellen könnte. Soweit nicht das Vorliegen einer Urheberrechtsverletzung, sondern nur deren fehlendes gewerbliches Ausmaß und damit das Bestehen eines Auskunftsanspruchs in Rede steht, ist es für die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes im Folgeprozess ebenfalls von nicht zu unterschätzender Bedeutung, ob der Anschlussinhaber auf eine noch im Anordnungsverfahren getroffene Beschwerdeentscheidung verweisen kann.
Dem fortbestehenden berechtigten Interesse der Beschwerdeführerin an einer Überprüfung der richterlichen Gestattungsanordnung steht das gleichfalls anzuerkennende Interesse der Antragstellerin am Schutz ihres geistigen Eigentums (Art. 14 GG) nicht entgegen. Dieses Interesse erfordert nicht, dass die vom erstinstanzlichen Gericht getroffene, mit Erlass wirksam gewordene und mit Auskunftserteilung in der Hauptsache erledigte Anordnung über die Verwendung von Verkehrsdaten bei der Auskunft über die Zuordnung bestimmter IP-Adressen zu einzelnen Anschlussinhabern jeder nachträglichen Überprüfung auf Grund einer (Fortsetzungsfeststellungs-) Beschwerde der Anschlussinhaber entzogen bleibt. Insoweit droht auch kein mit rechtsstaatlichen Prinzipien unvereinbarer Schwebezustand – um so weniger, als das Beschwerderecht unabhängig von gesetzlichen Fristen (§ 101 Abs. 9 S. 4 und 7 UrhG, § 63 FamFG), deren Anwendbarkeit auf die betroffenen Anschlussinhaber zweifelhaft sein mag, zumindest Verwirkungsregeln unterliegt (vgl. BVerfG, NStZ 2009, 166 [167]) und die Antragstellerin es regelmäßig selbst in der Hand hat, wann sie die ihr vom Provider benannten Anschlussinhaber über den Inhalt der sie betreffenden richterlichen Anordnung in Kenntnis setzt.
d) Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte für eine Verfristung oder Verwirkung des Beschwerderechts. Der Beschwerdeführerin ist der angefochtene Beschluss des Landgerichts zuerst mit dem Anspruchsschreiben der Antragstellerin vom 11.06.2010 in Kopie übermittelt worden (Bl. 159 ff. d.A.); schon mit Einschreiben vom 13.06.2010 (Bl. 155) hat sie Beschwerde eingelegt.
Die Beschwerde ist auch begründet.
Wie bereits aus den vorstehenden Erwägungen (zu Nr. II 2 c) erhellt, kann die von einem Anschlussinhaber begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit einer seine Internetdaten betreffenden richterlichen Anordnung allerdings nicht mit Erfolg auf Umstände gestützt werden, deren Prüfung überhaupt nicht Gegenstand des Anordnungsverfahrens sind, also insbesondere nicht auf eine angeblich fehlerhafte Auskunft des Providers über die Zuordnung der angegebenen IP-Adresse oder auf tat-sächliche Vorgänge in Bezug auf die Nutzung des fraglichen Internet-Anschlusses durch den Beschwerdeführer, seine Familienangehörigen oder sonstige Dritte (vgl. zu derartigen Konstellationen die Senatsbeschlüsse vom 21.07.2010 – 6 W 69/10 – und vom 18.08.2010 – 6 W 112/10).
Hier macht die Beschwerdeführerin aber in der Sache (jedenfalls auch) mit Erfolg geltend, dass das Landgericht zu Unrecht ein gewerbliches Ausmaß der in Rede stehenden Rechtsverletzung angenommen habe, die nach den dargestellten Ermittlungen der Antragstellerin am 11.03.2010 um 10:51:00 Uhr MEZ durch öffentliches Zugänglichmachen einer geschützten Musikdatei von dem Internetanschluss mit der IP-Adresse … aus begangen wurde. Ob eine Rechtsverletzung gewerbliches Ausmaß hat (vgl. zu diesem der Richtlinie 2004/48/EG, Erwägungsgrund 14, entlehnten Merkmal BT-Drucks. 16/5048 S. 65; BT-Drucks. 16/8783 S. 50; BT-Plenarprot. 16/155 S. 16318 C, 16320 A, 16321 B; Senat, GRUR-RR 2009, 9 – Ganz anders; MMR 2009, 334 – Die schöne Müllerin; OLG Schleswig, GRUR-RR 2010, 239 f.; OLG Hamburg, NJOZ 2010, 1222 [1223]), ist nach der Rechtsprechung des Senats unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles festzustellen. Vorausgesetzt werden Handlungen zur Erlangung eines unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Vorteils, ausgenommen gutgläubige Handlungen von Endverbrauchern (Richtlinie 2004/48/EG, Erwägungsgrund 14), was aus objektiven Kriterien abgeleitet wird: Bei Rechtsverletzungen im Internet ist neben der Zahl der von einem Verletzer öffentlich zugänglich gemachten Dateien (die vor erteilter Auskunft über die Nutzer dynamischer IP-Adressen schwerlich feststellbar ist) vor allem die Schwere der einzelnen Rechtsverletzung zu beachten – etwa wenn eine besonders umfangreiche Datei, wie ein vollständiger Kinofilm oder ein Musikalbum oder Hörbuch, vor oder unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung in Deutschland im Internet angeboten wird (BT-Drucks. 16/8783, S. 50). Das Anbieten irgendeiner Datei in einer Internet-Tauschbörse genügt für sich allein nicht, obwohl es ein Handeln um wirtschaftlicher Vorteile willen indiziert; vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob entweder ein besonders wertvolles Werk (vgl. Senatsbeschluss vom 3.11.2008 – 6 W 136/08, bei juris) oder eine hinreichend umfangreiche Datei innerhalb ihrer relevanten Verkaufs- und Verwertungsphase öffentlich zugänglich gemacht wurde (Senat, GRUR-RR 2009, 9 [11] – Ganz anders; ebenso OLG Schleswig, GRUR-RR 2010, 239 [240]; für kurz nach der Erstveröffentlichung angebotene Dateien im Ergebnis ebenso OLG Frankfurt/Main, GRUR-RR 2009, 15 [16]; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2009, 379 [381]; OLG Hamburg, NJOZ 2010, 1222 [1223]; anders für einmalige Download-Angebote OLG Zweibrücken, GRUR-RR 2009, 12 [13]; OLG Oldenburg, MMR 2009, 188 [189]). Dabei ist den besonderen Vermarktungsbedingungen des jeweiligen Werkes Rechnung zu tragen, so dass eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß im Einzelfall auch noch vorliegen kann, wenn seit der Veröffentlichung des Werks bereits längere Zeit vergangen ist (Senat, MMR 2009, 334 [335] – Die schöne Müllerin), etwa wenn das Werk in Neuauflage erschienen (Senatsbeschluss vom 04.06.2009 – 6 W 48/09, bei juris) oder in den TOP 50 der Verkaufscharts platziert ist (Senatsbeschlüsse vom 08.01.2010 – 6 W 153/09 – und vom 13.04.2010 – 6 W 28/10). Das gewerbliche Ausmaß der Rechtsverletzung muss nicht offensichtlich sein und ein in Ranglisten zum Ausdruck kommender besonders großer kommerzieller Erfolg wird nicht vorausgesetzt (Senatsbeschluss vom 04.06.2009 – 6 W 48/09). Jedoch müssen bei einem aktuellen Musikalbum schon besondere Umstände vorliegen, um nach Ablauf von sechs Monaten seit der Veröffentlichung eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß annehmen zu können (Senatsbeschlüsse vom 26.07.2010 – 6 W 98/10; 77/10; 86/10).
Im Streitfall geht es darum, dass im März 2010 ein schon im August 2008 erschienenes, also über eineinhalb Jahre auf dem Markt befindliches aktuelles Musikalbum innerhalb eines P2P-Netzwerks öffentlich zugänglich gemacht wurde. Von einer Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß kann deshalb nicht ohne besondere Umstände ausgegangen werden. Derartige Umstände hat die Antragstellerin trotz eines konkreten Hinweises des Senats (Bl. 172 d.A.) nicht mitgeteilt. Mangels zumutbarer Mitwirkung der Antragstellerin entfiel eine weitergehende Pflicht zur Amtsermittlung (§ 101 Abs. 9 S. 4 UrhG i.V.m. §§ 26 und 27 FamFG; Zöller / Feskorn, ZPO 28. Aufl., FamFG § 26 Rn. 4 m.w.N.; § 27 Rn. 4), für die erfolgversprechende Ansätze auch nicht ersichtlich sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 101 Abs. 9 S. 4 UrhG, § 84 FamFG.
Der Senat hat gemäß § 101 Abs. 9 S. 4 UrhG, § 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil eine höchstrichterliche Klärung der in diesem Beschluss erörterten Fragen noch aussteht, zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung aber geboten erscheint.
Beschwerdewert: 1.200,00 €