OLG Köln Beschluss vom 10.02.2011 (AZ.: 6 W 5/11)
T e n o r:
Es wird festgestellt, dass der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 203 O 203/10 – vom 16.06.2010 den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, soweit darin der Beteiligten gestattet worden ist, der Antragstellerin unter Verwendung von Verkehrsdaten Auskunft über den Namen und die Anschrift desjenigen Inhabers eines Internetanschlusses zu erteilen, 12.6.2010 um 21:30:36 Uhr MEZ die IP-Adresse 87.152.123.245 zugewiesen war.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
G r ü n d e :
I.
Die Antragstellerin hat, gestützt auf Rechte an einem Filmwerk, den Erlass einer Anordnung gemäß § 101 Abs. 9 UrhG beim Landgericht Köln erwirkt. Diese Anordnung bezog sich auf 33 IP-Adressen, von denen aus – so die Behauptung der Antragstellerin – im Zeitraum vom 12.6.2010 bis zum 15.6.2010 das verfahrensgegenständliche Werk im Internet zum Herunterladen angeboten worden sein soll.
Auf der Grundlage dieser Anordnung hat die weitere Beteiligte, ein Internetprovider, der Antragstellerin die entsprechende Auskunft erteilt. Die Antragstellerin behauptet, nach dieser Auskunft sei die im Tenor genannte IP-Adresse zu dem dort genannten Zeitpunkt dem Beschwerdeführer zugeordnet gewesen. Die Antragstellerin mahnte den Beschwerdeführer ab.
Der Beschwerdeführer hat Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss eingelegt. Er bestreitet, dass die fragliche IP-Adresse zu dem angegebenen Zeitpunkt seinem Internetanschluss zugeordnet gewesen sei. Auf seine Nachfrage bei der weiteren Beteiligten habe diese ihm eine entsprechende Auskunft nicht bestätigt, sondern darauf hingewiesen, dass die Daten nach der Auskunft an den Rechtsinhaber gelöscht würden. Die Beschwerde bezweifelt zudem, dass die Daten, die Gegenstand des Beschlusses sind, fehlerfrei ermittelt worden sind. Es sei nämlich angesichts des Umstands, dass IP-Adressen dynamisch vergeben würden, unerklärlich, dass das Werk unter derselben IP-Adresse, die dem Beschwerdeführer angeblich am 12.6.2010 um 21:30 Uhr zugewiesen gewesen sei, am Folgetag um 23:01 Uhr und am 14.6.2010 um 20:37 Uhr wiederum angeboten worden sein soll. Zudem weist die Beschwerde darauf hin, dass vier weitere IP-Adresse in der Liste jeweils doppelt mit einem Zeitabstand von mehr als 24 Stunden aufgeführt sind; fünf weitere Adressen sind an zwei verschiedenen Tagen aufgeführt, wobei der zeitliche Abstand von 24 Stunden teilweise nur um Sekunden unterschritten ist. Außerdem stellt die Beschwerde die Werkqualität des Films, die Rechtsinhaberschaft der Antragstellerin und das Vorliegen eines gewerblichen Ausmaßes der Rechtsverletzung in Frage.
Die Antragstellerin hat hierzu erklärt, die von der weiteren Beteiligten zur Verfügung gestellten Daten würden automatisiert in die Datenbank der Anwaltssoftware eingelesen. Es sei unter der im Tenor genannten IP-Adresse nur der Beschwerdeführer abgemahnt worden. Die Antragstellerin bestreitet mit Nichtwissen, dass die weitere Beteiligte nach einer Zwangstrennung der Internetverbindung dem Anschlussinhaber zwingend eine neue IP-Adresse zuweise. Es sei vielmehr wahrscheinlich, dass die fragliche IP-Adresse dem Beschwerdeführer mehrfach unter verschiedenen Daten zugeordnet gewesen sei. Gleiches gelte für die weiteren mehrfach genannten IP-Adressen. Hierfür spreche, dass die weitere Beteiligte bis Ende 2011 alle DSL-Anschlüsse auf den sog. Dual-Stack-Betrieb umstellen wolle, wodurch die Zwangstrennung wegfalle. Es seien auch in der Vergangenheit bereits Testläufe bei Privatkunden durchgeführt worden. Die eingesetzte Ermittlungssoftware arbeite zuverlässig; dies sei durch ein unabhängiges Sachverständigengutachten festgestellt worden. Wegen des weiteren Inhalts wird auf den Schriftsatz vom 28.1.2011 (Bl. 93 ff.) verwiesen.
II.
Die Beschwerde hat Erfolg.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Der Anschlussinhaber kann – nach Eintritt der Erledigung der Hauptsache durch die Erteilung der Auskunft durch den Internet-Provider – gemäß § 62 FamFG i.V.m. § 101 Abs. 9 S. 4 UrhG Beschwerde einlegen, wenn er geltend macht, durch den Anordnungsbeschluss in seinen Rechten verletzt zu sein (vgl. im Einzelnen Senat, Beschluss vom 5.10.2010 – 6 W 82/10, WRP 2010, 1554). Insofern kann zwar nicht geltend gemacht werden, die von dem Internet-Provider erteilte Auskunft sei falsch, weil dies nicht Gegenstand des Anordnungsverfahrens ist. Zulässig ist es aber, die Beschwerde darauf zu stützen, dass die IP-Adresse fehlerhaft ermittelt worden sei und es daher an einer offensichtlichen Rechtsverletzung fehle.
2. Die Beschwerde ist auch begründet, weil erhebliche Zweifel bestehen, ob die Antragstellerin die IP-Adressen, die Gegenstand des Verfahrens insgesamt sind, zuverlässig ermittelt hat. Damit fehlt es an der für die Anordnung erforderlichen Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung. Die weiteren von der Beschwerde angegriffenen Feststellungen des Landgerichts bedürfen daher keiner weiteren Überprüfung.
a) Der Auskunftsanspruch gegen den Internet-Provider gemäß § 101 Abs. 2 Satz 1 UrhG setzt voraus, dass eine Rechtsverletzung „offensichtlich“ ist. Das Erfordernis der Offensichtlichkeit in § 101 Abs. 2 UrhG bezieht sich neben der Rechtsverletzung auch auf die Zuordnung dieser Verletzung zu den begehrten Verkehrsdaten. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/5048, S. 39) soll durch dieses Tatbestandsmerkmal gewährleistet werden, dass ein Auskunftsanspruch nur dann zuerkannt wird, wenn eine ungerechtfertigte Belastung des Auskunftsschuldners ausgeschlossen erscheint (vgl. Senat, Beschluss vom 21.10.2008 – 6 Wx 2/08, GRUR-RR 2009, 9).
b) Nach diesen Maßstäben liegt eine offensichtliche Rechtsverletzung nicht vor. Die wiederholte Nennung von IP-Adressen in dem Antrag begründet erhebliche Zweifel, ob die IP-Adressen zutreffend ermittelt worden sind. Dabei kommt es nicht darauf an, ob dem Landgericht bei der Prüfung des Antrags diese Besonderheiten hätten auffallen müssen. Es genügt jedenfalls, dass die insofern maßgeblichen Umstände hätten Gegenstand der Prüfung sein können. Auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Antragstellerin werden diese Zweifel nicht ausgeräumt.
aa) Dass die weitere Beteiligte als Internet-Provider IP-Adressen grundsätzlich dynamisch und jedenfalls nach spätestens 24 Stunden eine Zwangstrennung des Anschlusses durchführt, ist dem Senat aus zahlreichen Verfahren bekannt. Auch die Antragstellerin hat dies in der Antragsschrift (dort Seite 4) ausdrücklich bestätigt: es werde einem Anschlussinhaber in dem hier fraglichen Zeitraum von rund 3 Tagen mehrmals eine neue IP-Adresse zugewiesen. Einem Anschlussinhaber wird also jedenfalls nach spätestens 24 Stunden und zusätzlich in dem Fall, dass er selbst die Internetverbindung zwischenzeitlich beendet, eine neue IP-Adresse zugewiesen. Dass es sich dabei um dieselbe IP-Adresse handelt, die dem Anschlussinhaber bereits zuvor zugewiesen war, ist angesichts der zufälligen Vergabe von IP-Adressen und der Anzahl zur Verfügung stehender IP-Adressen höchst unwahrscheinlich. Eine derartige Häufung gleicher IP-Adressen lässt sich durch Zufall nicht erklären. Es ist daher von erheblich höherer Wahrscheinlichkeit, aber jedenfalls zumindest nicht auszuschließen, dass die mehrfache Nennung gleicher IP-Adressen auf einem Fehler bei der Ermittlung, Erfassung oder Übertragung der IP-Adressen beruht.
Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit, dass die neuen IP-Adressen zwar anderen Personen zugeordnet worden sind, diese aber ebenso wie der frühere Inhaber der IP-Adresse das fragliche Werk zum Herunterladen bereithalten. Denn auch die Zahl derjenigen Inhaber von Internetanschlüssen, die dieses Werk zum Herunterladen bereithalten, dürfte gering sein. Auch wenn der Film Teil einer „sehr erfolgreichen Reihe“ der Antragstellerin sein sollte, ist nichts dafür ersichtlich, dass hierdurch die doppelte Nennung gleicher IP-Adressen erklärt werden könnte.
bb) Der neue Vortrag der Antragstellerin, die weitere Beteiligte verzichte testweise auf die Zwangstrennung, stellt dies nicht in Frage. Unabhängig davon, ob dieser Vortrag zuzulassen ist, ergibt sich daraus nicht, dass dies bereits zu dem Zeitpunkt der hier behaupteten Rechtsverletzung geschehen ist. Zudem belegt der von der Antragstellerin vorgelegte Bericht nicht, dass Testläufe auch unter Einbeziehung von Privatanschlüssen durchgeführt worden sind.
Auch der weitere Vortrag der Antragstellerin räumt diese Zweifel nicht aus. Dass die Antragstellerin nur einen Anschlussinhaber mit der fraglichen IP-Adresse abgemahnt hat, besagt nicht, dass der Anschlussinhaber in allen drei Fällen als Inhaber der IP-Adresse ermittelt worden wäre. Vielmehr bestärkt der zu dieser Frage trotz des Hinweises des Senats nur rudimentäre Vortrag der Antragstellerin die Zweifel an der Ordnungsgemäßheit des Ermittlungsergebnisses. Denn die Bezugnahme in der an den Beschwerdeführer gerichteten Abmahnung allein auf die angebliche Feststellung der Rechtsverletzung am 12.6.2010 legt es nahe, dass zu den beiden anderen Terminen nicht der Beschwerdeführer als Anschlussinhaber festgestellt worden ist. Dass diese Daten auch im Übrigen nicht zu einer Abmahnung geführt haben, könnte sogar darauf hinweisen, dass sich bereits aus der Auskunft durch die weitere Beteiligte ergibt, dass in diesen Fällen die Datenerfassung unrichtig war.
Der Vortrag, die von der Antragstellerin eingesetzte Software arbeite zuverlässig, räumt – auch unter Berücksichtigung des Sachverständigengutachtens – ebenfalls die dargestellten Zweifel nicht aus. Die ursprünglich vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers des mit der Ermittlung beauftragten Unternehmens ist hierzu unergiebig. Sie enthält lediglich die pauschale Behauptung, die Software arbeite „sehr zuverlässig“. Aus dem Sachverständigengutachten ergibt sich zwar, dass die Software grundsätzlich geeignet ist, Rechtsverletzungen zu ermitteln. Ob dabei Falschermittlungen ausgeschlossen sind, ergibt sich aus dem Gutachten jedoch nicht. Das Gutachten beruht auf rein empirischen Ermittlungen, in welchem Umfang die Software überprüft worden ist, ergibt sich aus dem Gutachten aber nicht. Untersuchungen zur Funktionsweise der Software sind in dem Gutachten nicht dokumentiert.
Anlass, ein weiteres Gutachten einzuholen, besteht nicht. Ein solches Gutachten müsste sich insbesondere mit der Frage befassen, wie es zu der mehrfachen Nennung gleicher IP-Adressen kommen konnte. Hierzu wäre die Kenntnis der Auskunft des Internet-Providers erforderlich. Hierzu hat sich die Antragstellerin jedoch nicht geäußert, obwohl der Beschwerdeführer seine Bedenken insofern eindringlich vorgetragen und der Senat in der Verfügung vom 10.1.2011 deutlich gemacht hat, dass er diese Bedenken für erheblich hält.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 101 Abs. 9 S. 4 UrhG, § 84 FamFG.
Beschwerdewert: 1.200,00 €