Rentnerin muss Abmahnkosten bezahlen (AG München, Urteil vom 23.11.2011, Az.: 142 C 2564/11)

Auch wer kein W-LAN nutzt und keinen Computer besitzt, muss mitunter Abmahnkosten bezahlen

Für Furore in der Blawgosphäre sorgt zurzeit ein Urteil des AG München vom 23.11.2011 (Az.: 142 C 2564/11), durch welches eine Rentnerin nach einer Filesharing-Abmahnung zur Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von 651,80 Euro zuzüglich Zinsen verurteilt worden ist. Das Urteil hat es sogar auf die Seiten von Spiegel Online geschafft, wo sich ein ausführlicher Bericht dazu findet.

Um was geht es in dem vor dem AG München verhandelten Filesharing-Fall (AG München, Urteil vom 23.11.2011, Az.: 142 C 2564/11)

Eine Rentnerin wurde im Februar 2010 als Inhaberin eines Internetanschluss wegen Filesharings abgemahnt. In der Filesharing-Abmahnung wurde ihr vorgeworfen, im Januar 2010 einen noch in der aktuellen Veröffentlichungsphase befindlichen Film in Tauschbörsen zum Download angeboten zu haben. Die Rentnerin ließ sich gegenüber dem Gericht dahingehend ein, zum angeblichen Tatzeitpunkt im Januar 2010 gar keinen Computer mehr besessen zu haben. Diesen habe sie im Juli 2009 verkauft und in der Folgezeit auch keinen Computer mehr besessen. Sie habe auch keinen W-LAN-Router besessen, sondern lediglich einen DSL-Splitter. Sie habe weder die Urheberrechtsverletzung selbst begangen, noch einen Dritten hierzu angestiftet oder sich sonst wie willentlich daran beteiligt. Ferner bestreitet sie, dass die gegenständliche Urheberrechtsverletzung, die IP-Adresse sowie ihr Internetanschluss überhaupt zutreffend ermittelt wurden.

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All dies half der Rentnerin frelich wenig vor dem AG München. Das Gericht führt in den Urteilsgründen aus, insbesondere nach Anhörung eines sachverständigen Zeugens zur Überzeugung gelangt zu sein, die Urheberrechtsverletzung, die verwendete IP-Adresse sowie die Inhaberin des Internetanschlusses seien korrekt ermittelt worden.

Filesharing-Abmahnungen: Täterschaft des Anschlussinhabers wird vermutet

Auf die Frage, ob die Rentnerin ein W-LAN genutzt habe oder einen Computer besessen habe, komme es, so das Gericht, bei Heranziehung der Grundsatzentscheidung des BGH zu Filesharing-Fällen (BGH, Urteil vom 12.05.2011, Az.: I ZR 121/08 – Sommer unseres Lebens) gar nicht an. Der BGH stellt in dieser Entscheidung fest, dass die Täterschaft des Anschlussinhabers vermutet wird, wenn feststeht, dass eine Urheberrechtsverletzung über eine dem Internetanschluss zuordenbare IP-Adresse begangen wurde. In dem vor dem BGH verhandelten Fall nutzte der Anschlussinhaber ein Drahtlosnetzwerk (W-LAN), um auf das Internet zuzugreifen.

Der BGH führt in der Entscheidung aus (BGH, Urteil vom 12.05.2011, Az.: I ZR 121/08 – Sommer unseres Lebens):

(…) Wird ein geschütztes Werk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zu¬geteilt ist, so spricht (…) eine tatsächliche Vermutung dafür, dass diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Daraus ergibt sich eine sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers, der geltend macht, eine andere Person habe die Rechtsverletzung begangen (…).

Auf diese Rechtsprechung nimmt das AG München Bezug, wenn es einen erst-recht-Schluss wie folgt durchführt: Das AG München argumentiert, wenn nach der Rechtsprechung des BGH schon die Täterschaft des Internetanschlussinhabers, welcher über ein W-LAN auf das Internet zugreift vermutet wird, so müsse dies erst recht gelten, wenn nur mittels einer Kabelverbindung auf das Internet zugegriffen werden könne. In diesem Fall nämlich, so das AG München, sei eine physische Anwesenheit in den Räumen des Anschlussinhabers erforderlich, so dass die Täterschaft des Anschlussinhabers deutlich näher liege, als bei einer Internetnutzung mittels W-LAN.

Das AG München führt insoweit überzeugend aus (AG München, Urteil vom 23.11.2011, Az.: 142 C 2564/11):

(…) Das Gericht folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bezüglich der tatsächlichen Vermutung im konkreten Fall unabhängig davon, ob vorliegend ein WLAN-Netzwerk bestand oder eine Verbindung mittels Kabel erforderlich war und erfolgte. Denn, wenn nach der Rechtsprechung des BGH bereits eine solche tatsächliche Vermutung beim Betrieb eines WLAN-Netzwerks besteht, muss dies erst recht gelten, sollte die Verbindung in das Internet sogar mit einem Kabel erforderlich und erfolgt sein, wenn wie vorliegend zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass die Quelle der Urheberrechtsverletzung der Internetanschluss der Beklagten ist, da dann die Verletzung aus dem Haushalt der Beklagten bei physischer Anwesenheit des Täters erfolgt sein musste. Die sekundäre Darlegungslast der Beklagten gilt dann erst recht. (…)

Diese Argumentation orientiert sich konsequent an den vom BGH aufgestellten Haftungsmaßstäben.

AG München legt Messlatte zur Entlastung des Anschlussinhabers zu hoch

Weniger überzeugend sind jedoch die Anforderungen, die das AG München an die Entlastung des Anschlussinhabers von der Vermutung der Täterschaft stellt. Das Gericht fordert insofern (AG München, Urteil vom 23.11.2011, Az.: 142 C 2564/11 – Hervorhebung durch Autor):

(…)Erforderlich für die Entkräftung wäre, dass die Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufes für das Gericht feststeht, nachdem die Beklagte im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast eine solche vortrug. (…)

Das AG München fordert zur Entlastung des Anschlussinhabers von der Vermutung der Täterschaft also, dass der Anschlussinhaber einen alternativen Geschehensablauf vorträgt, wonach seine Haftung als Täter ausscheidet. Derartige Anforderungen an die Entkräftung der Vermutung der Täterschaft gehen zu weit und führen praktisch zu einer – rechtsstaatlich problematischen – Beweislastumkehr zu Gunsten des Abmahners.

Das Erfordernis an die Entkräftung, welches das AG München aufstellt, lässt sich auch nicht der BGH-Entscheidung „Sommer unseres Lebens“ entnehmen. Vielmehr das Gegenteil ist der Fall. In der Entscheidung „Sommer unseres Lebens“ stellt der BGH gerade fest, dass es zur Erfüllung der sekundären Darlegungslast ausreicht, wenn der Anschlussinhaber dargelegt, dass er als Täter ausscheidet. Der BGH stellt insofern fest (BGH, Urteil vom 12.05.2011, Az.: I ZR 121/08 – Sommer unseres Lebens):

(…) Daraus ergibt sich eine sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers, der geltend macht, eine andere Person habe die Rechtsverletzung begangen (vgl. OLG Köln MMR 2010, 44, 45; GRUR-RR 2010, 173, 174). Dieser sekundären Darlegungslast ist der Beklagte jedoch nachgekommen, indem er — von der Klägerin unbestritten — vorgetragen hat, zum fraglichen Zeitpunkt im Urlaub gewesen zu sein, während sich seine PC-Anlage in einem für Dritte nicht zugänglichen, abgeschlossenen Büroraum befunden habe.(…)

Derjenige, der sich darauf beruft, eine andere Person habe die Urheberrechtsverletzung begangen, braucht also nicht zur Überzeugung des Gerichts darzulegen, wann und wie diese Person die Urheberrechtsverletzung begangen haben soll. Ausreichend ist vielmehr, wenn konkret dargelegt wird, warum der Anschlussinhaber als Täter ausscheidet.

So wie das AG München argumentiert, hätte es eine täterschaftliche Haftung bejahen und dann konsequenterweise auch den – offensichtlich beantragten – Schadensersatz zusprechen müssen. Zugesprochen wurden jedoch nur die Abmahnkosten. In Bezug auf den Schadensersatz wurde die Klage abgewiesen. Das Gericht geht daher offensichtlich von einer Störerhaftung aus. Auf die Störerhaftung lässt sich die vom BGH konstatierte Vermutung der Täterschaft jedoch nicht (ohne Weiteres) übertragen.

Es darf daher gespannt abgewartet werden, ob gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt werden.

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